Ein Zuhause ist viel mehr als ein Ort oder ein Gefühl, sagt Christiane Wolf und zeigt anhand ihrer eigenen Geschichte, die sie nach Amerika und zum Buddhismus geführt hat, wie vielschichtig Heimat sein kann: vom physischen Ort über die Menschen, die wir lieben, die Überzeugungen, die wir mit anderen teilen, bis zum sicheren Zuhause in uns selbst, das wir nur hier finden können und das uns niemand nehmen kann.
Text: Christiane Wolf | Illustration: Rie Takeda
Zu Beginn der 90er-Jahre brachte Mercedes einen Werbespot heraus, der mit dem Satz endete: „Willkommen zu Hause!“, gesprochen von einer sexy-sonoren männlichen Stimme. Der Satz fiel, nachdem der in einem arabischen Land reisende Geschäftsmann die Fahrertür seines Mietwagens zugeschlagen und damit alles Fremde und Anstrengende hinter sich gelassen hatte. Schaue ich mir diese Werbung heute an, stehen mir wegen der Fremdenfeindlichkeit die Haare zu Berge, aber der Satz und das damit verbundene Gefühl hatten sich so in mir verankert, dass ich ihn über die Jahre in zahllosen Situationen zitiert habe. Er drückt das Gefühl der Erleichterung aus, nach einer langen Fahrt oder Reise am Ziel angekommen zu sein, die Anstrengungen und den Stress abzustreifen und wieder zur Ruhe und ins Gleichgewicht zu kommen. „Willkommen zu Hause!“
Der Begriff Heimat war mir, wie vielen meiner Generation, lange suspekt. Er schwankte zwischen dem schnulzigen Heimatfilm, in dem es um Berge, Liebe, Verrat und Treue sowie um klar definierte Geschlechterrollen ging, und dem von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Wort, das seitdem mit „Heim ins Reich“, „Blut und Boden“ und Schlimmerem assoziiert ist. Dass er in den letzten Jahren in der Politik sowohl von Rechten als auch von Linken wiederaufgegriffen wurde, machte ihn mir nicht schmackhafter. Der Begriff der spirituellen Heimat leuchtete mir dagegen sofort ein, weil ich mich wie zu Hause angekommen fühlte, als ich dem Buddhismus begegnete. Er war zweifelsohne meine spirituelle Heimat und begann, mich mit dem Wort Heimat zu versöhnen.
Heimatverlust und Heimatfindung
Als unsere älteste Tochter fünf Monate alt war, ziemlich genau vor 20 Jahren, verabschiedeten mein Mann und ich uns am Frankfurter Flughafen von seinen Eltern. Außer unserer Tochter hatten wir zwei große Koffer dabei. Der Flug ging nach Los Angeles, wo mein Mann eine neue Anstellung in einem Architekturbüro hatte. Ich war mit meinem Job an der Berliner Charité im Erziehungsurlaub. Der Plan: für ein Jahr in den USA leben. Er arbeitend, ich „zu Hause“ mit dem Baby. Vom schönen Wetter mal abgesehen, fühlte ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen: Meine Freunde, meine Arbeit, meine Praxis-Sangha, alles war in Berlin zurückgeblieben. Auf einmal war ich viele Stunden am Tag allein in einer Einzimmerwohnung mit einem Säugling, in einer Stadt, in der man ohne Auto kaum irgendwo hinkommt und mit einem Auto im Verkehr feststeckt.
Aus Berlin hatte ich nur die neue Rolle der Mutter mitgenommen, die mir noch fremd und zudem aus meiner eigenen Familiengeschichte emotional belastet war. Ich hätte dringend die praktische und moralische Unterstützung meiner Freundinnen gebraucht. Auch meinen Beruf vermisste ich und die Anerkennung, die mir als Ärztin an einem angesehenen Krankenhaus entgegengebracht wurde. Hier in Los Angeles kannte ich niemanden und war niemand. Was von außerhalb der USA stammte, stieß auf kein Interesse. Im Gegensatz zur Ausbildung meines Mannes wurde meine nicht anerkannt. Ich fühlte mich fremd, nicht dazugehörig und damit auch immer ein bisschen schutzlos und verletzlich.
Letztlich „rettete“ mich damals indirekt der Buddha. Mir war klar, wie wichtig meine kalyanamitta, meine spirituellen Freunde, in Berlin für mich und meine Praxis waren, und so zog ich in L.A. los, um auch hier eine Praxis-Sangha zu finden. Ich fand Trudy Goodman und ihre wachsende Gruppe von Schülerinnen und Schülern. Dort wurde ich, im fremden Land und in der fremden Sprache, gesehen, gehört und gespürt und konnte mich dadurch selbst wieder besser sehen, hören und spüren. Das gab mir ein sich vertiefendes Gefühl von Heimat nicht nur in L.A., sondern auch in den Lehren, in der Praxis und in mir selbst, was mir wiederum half, dann auch für andere Praktizierende ein Teil ihrer spirituellen Heimat zu werden. Denn wenn wir Heimat in uns selbst finden, können wir auch anderen Heimat geben. (…) Mehr