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Sirkka Jendis | Tafel-Geschäftsführerin

In Deutschland unterstützen die Tafeln täglich Menschen, für die eine Mahlzeit nicht selbstverständlich ist. Doch Armut bedeutet mehr als finanzielle Engpässe – sie kann auch Isolation und Perspektivlosigkeit mit sich bringen. Sirkka Jendis, Geschäftsführerin von Tafel Deutschland, dem Dachverband der Tafeln, setzt sich mit Herzblut für mehr Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt ein. Sie zeigt, wie wichtig ein gemeinsames Handeln von Politik und Gesellschaft ist, um nachhaltige Lösungen zu schaffen und Menschen neue Hoffnung zu geben.

Text: Marlies Eichelberger | Foto: Jan Kopetzky

Täglich stellen sich Tausende Menschen in Deutschland bei einer der 975 Tafeln an, um Nahrungsmittel in ihre Trolleys und Taschen zu packen. Die Tafeln lindern Armut und bekämpfen Lebensmittelverschwendung durch einen gemeinsamen Lösungsansatz: Sie retten genießbare Lebensmittel und sorgen dafür, dass Obst, Brot, Milchprodukte und Co nicht unnötig im Müll landen. Diese Produkte verteilen sie an Menschen, die oft zu wenig Geld für ihren täglichen Bedarf haben. Zudem leisten sie so auch einen Beitrag zum Klimaschutz.

Powerfrau mit politischem Weitblick

Sirkka Jendis hat Kommunikationswissenschaften studiert, war zuvor Vorständin des evangelischen Kirchentags in Hamburg und in leitender Funktion in der ZEIT-Verlagsgruppe tätig. Die erfahrene Führungskraft von Tafel Deutschland, dem Dachverband der Tafeln, bezeichnet sich als Feministin, ist dreifache Mutter, verheiratet und lebt in Berlin.

Persönlich steht sie für die echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, kämpft gegen Armut und Lebensmittelverschwendung und setzt sich für ein zukunftsfähiges Bildungswesen ein. Als Tafel-Geschäftsführerin, gemeinsam mit ihrem Kollegen Marco Koppe in der Doppelspitze, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, diese Themen in die Öffentlichkeit zu rücken. Es geht um die Definition von Armut in all ihren Ausprägungen, um soziale Teilhabe und das wertvolle Ehrenamt. In ihrer Position hat Sirkka Jendis direkten Zugang zu Verbänden auf europäischer und deutscher Ebene, zu Kommunen und zur Politik. Sie kritisiert das aktuelle gesellschaftliche System und möchte, dass sich wirklich etwas ändert. So schlägt sie unter anderem eine Vermögenssteuer vor, ein Mindesteinkommen, die Erhöhung des Mindestlohns sowie eine Stärkung der gesetzlichen Renten.

Ihr Einstieg bei Tafel Deutschland war kurz vor Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine und dem Start einer der größten Flüchtlingsbewegungen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Tafeln verzeichneten einen rasanten, kaum bewältigbaren Zulauf. Dabei wurden die Ausgabestellen oft fälschlicherweise für selbstverständlich genommen und als staatlicher Grundversorger gesehen, so Jendis. In Wahrheit handelt es sich jedoch um eine 1993 in Berlin entstandene, auf Vereinsbasis organisierte Initiative, die von Ehrenamtlichen, oft selbst Armutsbetroffene oder Migranten, betreut wird.

Frauen stärken Frauen

Die Angebote der Tafeln beschränken sich nicht auf die Unterstützung mit Lebensmitteln, sondern gehen weit darüber hinaus und umfassen zum Beispiel auch Bildungsangebote. Sirkka Jendis hat das Netzwerk Frauen stärken Frauen ins Leben gerufen. Mit dieser Plattform möchte sie jene Frauen unterstützen, die sich im Verband engagieren. Der Anteil der weiblichen Helferinnen beträgt 62 Prozent. Wie etwa die junge Frau aus Syrien, die noch wenig Deutsch sprach, als sie ihr das erste Mal begegnete und sie fröhlich und engagiert mit Kaffee und (gespendeten) Keksen bewirtete. „Ein hoffnungsvolles Bild, das mich bis heute begleitet“, so Jendis. „Solche Eindrücke zeigen, dass Armut mehr als der Mangel an gesunder Ernährung ist und Tafeln mehr als Lebensmittelausgaben sind, nämlich Orte der Begegnung und sozialen Teilhabe.“

Die Tafeln verstehen sich auch als soziale Entlastung. Neben der Ausgabe von Lebensmitteln gibt es an einigen Standorten auch Nachhilfekurse oder eine Kleiderstube. Armut, sagt Sirkka Jendis, ist nämlich viel mehr als die Abwesenheit von Geld oder Nahrungsmitteln: Krankheit, Einsamkeit und Scham sind ihre Begleiterscheinungen. Zu wenig Hoffnung und Ressourcen schaden nicht nur den Betroffenen, sondern der gesamten Gesellschaft. Dinge wie ein Friseurbesuch, die den Alltag lebenswert machen und für viele selbstverständlich sind, können von Armutsbetroffenen oft nicht in Anspruch genommen werden.

Es sind diese vielen kleinen Zusatzausgaben, über die wir oft nicht nachdenken, weil sie ganz normal erscheinen, so Jendis. Menschen, die dank der Tafeln Hilfe erfahren, können sich im Idealfall stattdessen ein Zugticket leisten oder ihrem Kind einen Kinobesuch ermöglichen. Soziale Teilhabe bedeutet mehr, als den Hunger zu stillen – sie hängt vom gesamten Lebensumfeld ab. (…) Mehr

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