Träume treten in verschiedenen Formen auf, als Albträume, Tagträume oder als Klarträume, in denen man sich völlig bewusst ist, dass man träumt. Wir sprechen mit dem Traumforscher Dr. Michael Schredl über die verschiedenen Facetten unseres nächtlichen Kopfkinos und vor allem darüber, wie Träume unsere Kreativität fördern können.
Interview: Norbert Classen | Foto: DC Studio
Lieber Herr Dr. Schredl, wie sind Sie zur Schlafforschung und speziell zur Erforschung der Träume gekommen?
Das liegt lange zurück. Ich habe, als ich jung war, die Bücher von Erich Fromm gelesen. Eines heißt Märchen, Mythen, Träume. Zu der Zeit habe ich mich gar nicht an Träume erinnert. Ich war einfach neugierig, weil ich da gar keinen eigenen Bezug hatte, und habe mir dann so ein praktisches Traumbuch gekauft, Ann Faradays Deine Träume – Schlüssel zur Selbsterkenntnis. Seitdem, das war 1984, habe ich ein Traumtagebuch geführt. Das Träumen war ein spannender Zustand. Während ich Psychologie studierte, habe ich Referate und die Diplomarbeit zu dem Thema gemacht und hatte dann das Glück, hier im Schlaflabor einen Job zu kriegen.
Inzwischen sind Sie der wissenschaftliche Leiter dieses Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Was genau wird da erforscht? Und vor allem, wie wird das erforscht? Was erwartet mich als Patient oder Proband, wenn ich in ein Schlaflabor gehe?
Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit ist eine psychiatrische Klinik und gleichzeitig ein Forschungsinstitut des Landes Baden-Württemberg. Das heißt, wir haben viele Abteilungen, sowohl für die Patientenversorgung, also für die Diagnostik und Therapie von Patienten mit Schlafstörungen, als auch für die Forschung. Im Forschungsbereich gibt es zwei Schwerpunkte. Der eine ist die Schlafforschung, die vornehmlich von meiner ärztlichen Kollegin durchgeführt wird – z.B. der Schlaf bei schizophrenen Patienten oder die Wirksamkeit von Gruppenpsychotherapieprogrammen bei Patienten mit Schlafstörungen, das sind die großen Schwerpunkte, die sie hat, bis hin zur Genforschung.
Ich selbst bin im Bereich der Traumforschung tätig. Bei der physiologischen Forschung ist es so, dass man in der Regel eine Schlaflaboruntersuchung braucht. Da bekommen Sie Elektroden auf den Kopf, damit man messen kann, was physiologisch abläuft. Bei der Traumforschung kann man mehrere Techniken verwenden, weil die Elektroden natürlich nicht zeigen, was man träumt, sondern nur, in welchem Schlafstadium man sich befindet. Man kann aber gezielt Protokolle machen – mit Wecken usw. – oder, was wir auch gerne gemacht haben, sind Traumtagebücher, d.h., die Personen füllen zu Hause aus, was sie geträumt haben, weil ein Nachteil der Schlaflabortraumforschung ist, dass in den Träumen, die im Schlaflabor untersucht werden, häufig das Schlaflabor vorkommt – das macht natürlich keinen Spaß. Was wir auch machen, gerade jetzt während der Pandemie, sind Onlinestudien, in denen wir ganz allgemein nach Aspekten von Träumen fragen: Hängen diese mit der Persönlichkeit zusammen? Womit hängen Albträume zusammen? Wer hat mehr, wer hat weniger?
Was unterscheidet einen Albtraum von einem normalen Traum? Und sind Albträume bis zu einem gewissen Punkt normal, oder sollte man sich bei häufigerem Auftreten Sorgen machen?
Albträume werden definiert als Träume mit stark negativen Gefühlen – meist Angst, es kann aber auch Wut, Ärger oder Trauer sein –, die so stark sein können, dass man davon aufwacht. Ein typischer Albtraum ist der Falltraum: Man fällt ins Bodenlose, und bevor man unten aufschlägt, wacht man auf. Oder man wird verfolgt, und bevor der Verfolger zupackt, wacht man auf. Das heißt, die emotionale Intensität wird so groß, dass der Schlaf gestört wird.
Was die Häufigkeit angeht, ist es so, dass fast jeder Mensch schon mal Albträume hatte. Von der klinischen Seite stellt sich die Frage: Ab wann sind Albträume behandlungsbedürftig? In der klinischen Diagnostik gibt es eine Kategorie, die sogenannte Albtraumstörung. Die Albträume sind dann so häufig, dass sie die Person deutlich beeinträchtigen. Beeinträchtigungen sind Angst vorm Einschlafen, schlechte Schlafqualität, schlechte Stimmung nach dem Aufwachen sowie Gedanken an die Alpträume. Sich Sorgen machen sollte man auf keinen Fall, denn das trägt zusätzlich zur Albtraumbelastung bei. Die Faustformel, die wir verwenden, lautet: Albträume einmal pro Woche oder häufiger sind behandlungsbedürftig. Etwa fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind davon betroffen, das ist eine recht stattliche Zahl. (…) Mehr
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Dieser Artikel stammt aus unserer Winter-Ausgabe 04/2021: Schlaf und Traum. Ihre Bedeutung für Gesundheit, Resilienz und Wohlbefinden.
„Viele der Gehirnareale, die man im Wachzustand benötigt, sind auch beim Träumen aktiv, z.B. Gefühlszentren, Sprachzentren oder motorische Zentren, d.h., fast das ganze Gehirn ist auch am Träumen beteiligt.„