Das größte Geheimnis in Bezug auf Gewohnheiten besteht für die meisten von uns darin, wie man schlechte Angewohnheiten wieder loswerden kann. Für Hirnforscher ist das größere Rätsel, wie Gewohnheiten überhaupt gebildet werden: Wie finden sie ihren Weg in unser Gehirn? Auf der Suche nach Antworten haben wir mit der Neurowissenschaftlerin Lieneke Janssen gesprochen, die aktiv dazu forscht. Was wissen wir wirklich, wie lauten die gängigen Theorien und wo besteht Aufklärungsbedarf?
Text und Interview: Norbert Classen| Norbert Classen: Lisa Alisa / Alamy
Ich treffe Lieneke Janssen auf Zoom. Die sympathische Niederländerin, die an der Radboud University in Nijmegen mit ihrer Doktorarbeit Breaking Bad Habits (Wie man schlechte Gewohnheiten überwindet) über die neurokognitiven Mechanismen von zwanghaftem Verhalten promoviert hat und jetzt in Deutschland an der Entstehung von Gewohnheiten forscht, genießt gerade ihren Morgenkaffee, der zu ihren Lieblingsritualen zählt. Ein Großteil unseres täglichen Lebens läuft automatisch ab, und da machen Forscher keine Ausnahme.
Welchen Vorteil haben solche Automatismen, möchte ich wissen. „Naja, ganz viele“, sagt sie. „Ein Glück, dass wir Gewohnheiten haben. Wenn wir den ganzen Tag über jede Handlung nachdenken und uns jedes Mal bewusst entscheiden müssten, was wir wie tun, kämen wir kaum voran. Automatismen sparen uns eine Menge Zeit und Energie, und das beginnt schon am Morgen beim Zähneputzen, Kaffeekochen, Frühstücken und Einschalten des Computers.“
„Gewohnheiten helfen uns auch, Sachen gleichzeitig zu machen“, so Janssen. „Sie machen Ressourcen frei, damit wir neben einer Sache noch eine zweite machen können. Wenn ich zum Beispiel mit meinen Kindern nach Hause komme und im Gespräch bin, kann ich die Tür aufschließen und das Licht anschalten, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Oder beim Kochen telefonieren.“
Gewohnheiten als Abkürzung
Aber warum fällt es uns so schwer, schlechte Gewohnheiten wieder loszuwerden? Wie wir an den Neujahrsvorsätzen sehen, von denen nur 27 Prozent mehr als zwei Monate halten, reicht es offenbar nicht, es uns einfach vorzunehmen. „Das liegt zum Teil daran, dass Gewohnheiten automatisch ausgelöst werden“, so Janssen.
Unser Gehirn folgt nach gängigen Theorien einem einfachen Dreischritt, der sich aus Auslösereiz, Routinehandlung und Belohnung zusammensetzt. Der Auslösereiz, auch Trigger genannt, kann dabei etwas Inneres sein wie Hunger oder eine äußere Situation wie der Weg zur Arbeit, der am Bäcker vorbeiführt, wo uns der Geruch von frischem Brot und Kaffee entgegenströmt. Und schon folgt eine ganze Reihe von Routinehandlungen, die wir nur teilweise bewusst ausführen.
„Oft merkst du nicht einmal, dass du im Autopilot handelst. Für mich ist eine Gewohnheit, bildlich gesprochen, so etwas wie eine Abkürzung. Wir nehmen die Autobahn von A nach B, extraschnell und extraeffizient. Aber sobald du auf diese Autobahn raufgefahren bist, kannst du nicht einfach umdrehen. Du kannst nicht anders und musst jetzt auf eine Ausfahrt warten. So ist das auch mit den Gewohnheiten.“
Eine wichtige Rolle spielt dabei zudem die Belohnung – im Bild des Bäckers der Genuss des Kaffees und des frischen Brötchens. In unserem Nervensystem wird durch den Trigger ein Mechanismus ausgelöst, bei dem das Hormon Dopamin ausgeschüttet und unser Belohnungszentrum aktiviert wird, eine uralte Struktur im Mittelhirn. Dieses Zentrum, der Nucleus accumbens, sendet dann Erregungspotenziale an andere Gehirnstrukturen, die uns Zufriedenheit und Freude empfinden lassen.
In einem Experiment mit Ratten in den 1950er-Jahren, bei dem die Nager durch das Drücken eines Hebels dieses Zentrum über Drähte in ihr Gehirn elektrisch stimulieren konnten, betätigten die Tiere den Hebel alle fünf Sekunden bis zur absoluten Erschöpfung – selbst ihr Lieblingsfutter ließen sie für die Stimulation des Belohnungszentrums links liegen.
Die Entkoppelung von Handlung und Ziel
Viele Neurowissenschaftler glauben, dass sich auch bei uns Menschen die Gewohnheiten von unseren Zielen gelöst haben, so Lieneke Janssen: „Durch Wiederholung, durch Lernen. Und das ist manchmal gut, aber sobald die Ziele wieder wichtig werden, haben wir keinen Zugriff mehr darauf. Dann kann es sein, dass eine Gewohnheit uns schadet, es aber unmöglich ist, sie anzupassen, weil das ein anderer neuronaler Pfad ist als der, den wir genommen haben. Das macht es so schwer, Gewohnheiten zu ändern. Dafür müssen wir uns anstrengen, und das schließt Übung, Lernen und Wiederholung ein.“ (…) Mehr