Patricia Cammarata, auch bekannt unter ihrem Pseudonym dasnuf, ist Autorin, Bloggerin und Podcasterin. In Deutschland hat sie ein breites Bewusstsein für das Thema Mental Load geschaffen, die Last der vielen unsichtbaren und kaum beachteten Aufgaben des Familienalltags, die ganz überwiegend Frauen tragen. Wir sprechen mit ihr darüber, wie sie den Herausforderungen des Lebens begegnet, was ihr geholfen hat, veraltete gesellschaftliche Normen abzulegen, und warum der Schlüssel wahrer Gleichberechtigung bei den Frauen liegt.
Interview: Stefanie Hammer | Foto: Sophie Weise-Meißner
Wann hast du begonnen, dich mit dem Thema Mental Load zu beschäftigen? Und wie sah dein Alltag damals aus?
Ich habe lange bevor ich den Begriff zum ersten Mal hörte, begonnen mich damit zu beschäftigen. Ich kam gerade aus einer Elternzeit und hatte sehr gute Rahmenbedingungen – einen tollen Arbeitgeber, eine gute Kinderbetreuung, kurze Arbeitswege, und trotzdem war ich wahnsinnig erschöpft, schon morgens auf dem Weg zur Arbeit. Ich bin damals aber davon ausgegangen, dass das mein individuelles Problem ist, dass ich das nicht gut organisiert bekomme. Durch Zufall ist mir dann ein paar Jahre später im Netz der Comic der französischen Illustratorin Emma begegnet, in der ein Ausschnitt lautet: „You should have asked“, also: „Du hättest nur fragen müssen.“ Der war wie eine Erleuchtung, weil ich mir dachte: Moment mal, das ist eine Französin, wir kennen uns nicht, und sie beschreibt eins zu eins eine Situation, wie sie in meinem Leben hätte stattfinden können. Und wenn es noch eine zweite Frau gibt, bei der das so ist, ist es vielleicht doch nicht so individuell. Dann bin ich diesem Begriff nachgegangen und habe festgestellt, dass er gar nicht so neu ist, sondern in der Soziologie und Psychologie immer wieder auftaucht, nur einfach kein Allgemeinwissen war. Das fand ich interessant, weil ich selber Psychologie studiert hatte. Ich habe mich dann eingelesen, und irgendwann war das Bedürfnis da, dieses Wissen zu teilen, weil – und ich merke das bis heute in meinen Vorträgen – das Gefühl, das ich da vor einigen Jahren hatte, haben ganz viele Frauen, es ist typisch für diese „Rushhour“ des Lebens und auch statistisch belegt. Wenn man sich den Gender Care Gap anguckt, also die Ungleichverteilung in der Sorgearbeit, zu der auch die Mental Load gehört, dann gibt es einen Peak bei den Frauen, die 35 sind und Kinder haben.
Die machen im Schnitt 111 Prozent mehr als ihre Partner. Wenn ich diese Zahl in meinen Vorträgen nenne, sehe ich immer einen Ausdruck zwischen Entsetzen und Erleichterung. Diese Lebensphase, die so krass belastend ist, gibt es wahrscheinlich für mehr oder weniger alle Frauen, und sie haben weder das Wissen noch die Worte, das anzugehen, sondern sie gucken rechts und links und denken, die Freundinnen schaffen das alles, dann schauen sie auf Instagram, da haben auch alle aufgeräumte Wohnungen, tolle Torten und saubere Kinder, und dann sehen sie das natürlich als eigenes Versagen.
Ich habe bei dir auf Instagram gelesen, dass ein wesentlicher Punkt gegen Mental Load ist, Routinen und Rituale in den Alltag einzubauen.
Wenn wir nicht alles jedes Mal neu planen müssen, sondern feste Rituale haben, reduziert es natürlich diese gedankliche Last. Das sind ganz banale Sachen. Ein Thema, das nicht zu unterschätzen ist und viele Menschen sehr nervt, ist die Essensplanung, zumal wenn man bedenkt, was die Kinder alles nicht essen. Wir haben bei uns Tage eingeführt, an denen es immer dasselbe gibt, z.B. donnerstags Crêpes, die jeder so belegen kann, wie er möchte. Zuständig ist da auch mein Sohn, der das immer vorbereitet. Dann muss ich mir über den Donnerstag keine Gedanken mehr machen. Das kann man auf viele Bereiche übertragen. Natürlich möchte man einen schönen Geburtstagskuchen backen; da kann man einen Familiengeburtstagskuchen als Tradition einführen, also einen, den alle mögen, auch die Gäste, und dann müssen wir nicht jedes Mal überlegen, welchen Kuchen wir backen.
Stichwort Vereinbarkeit: In unserer Gesellschaft gibt es einen sehr hohen Anteil von Alleinerziehenden, und meist sind es Frauen. Was müssten wir trotz der ständigen Überforderung in dieser Doppelfunktion neu lernen, um gut für uns zu sorgen?
Das Erste, was mir einfällt, ist, etwas zu verlernen, nämlich das Multitasking. Das ist ja auch eine Verlockung im Mental Load: Das kann ich ja immer machen; ich kann zur Arbeit fahren und meine To-do-Liste wälzen; ich kann das nebenher in Meetings machen, also zu jedem Zeitpunkt, auch wenn ich mich eigentlich gerade ausruhe. Nebenher immer noch zu arbeiten, ist eine wahnsinnige Arbeitsverdichtung, wodurch wir dann aus unserer Teilzeit- eine Vollzeitstelle machen, weil wir 30 Prozent parallel arbeiten.
Das gilt auch fürs Private. Ist es wirklich nötig, was da alles auf der To-do-Liste steht? Können wir Ansprüche sein lassen? Zum Beispiel, dass man sich sagt: Das Kind wird auch eine schöne Kindheit haben, wenn ich zur Einschulung keine Tüte bastele? Oder einen fertigen Kuchen mitzunehmen auf ein Fest, sodass wir To-dos einstellen und uns dafür aber wirklich mal die Zeit nehmen, im Hier und Jetzt zu sein und nicht mit dem Kopf irgendwo anders.
Du hast Alleinerziehende angesprochen. Ich glaube, die bedienen immer schon alle Hebel, die man sich nur vorstellen kann, einfach aus Not. Da ist eine Praxis hilfreich, dass alle anderen sich angewöhnen, solidarisch zu denken, also sich klar zu sein: Wir sind in Solidargemeinschaften – im Kindergarten, in der Schule. Es gibt oft keinen Grund, dass jeder alles einzeln macht. Wir können vieles füreinander tun, etwa so stressige Sachen wie die Bestellung der Schreibmaterialien am Schulanfang. Warum machen das 30 Eltern jeder für sich? Genauso im Kindergarten. Und die Alleinerziehenden sind einfach von allen Extradiensten befreit. Die anderen können sagen:
„Wir alle haben mehr Kapazitäten, weil wir einen Partner haben oder die Eltern vor Ort.“ Wenn Alleinerziehende was machen, dann die Quick Wins, also den Saft kaufen, die Milch beisteuern oder den Kaffee kochen. Uns als Solidargemeinschaften sehen, das sollten wir wieder viel stärker in den Vordergrund rücken, also: Welche Nöte haben wir gemeinsam und wie können wir einander da entlasten? (…) Mehr