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Im Gespräch mit | Emotionsforscherin Eve Ekman

Eve Ekman gehört zu den führenden Emotionsforscherinnen einer neuen Generation und berät neben ihrem akademischen Engagement auch Firmen und Institutionen in den Bereichen emotionales Bewusstsein, Empathie und Mitgefühl. Gemeinsam mit ihrem Vater, dem renommierten Emotionsforscher Paul Ekman, hat sie den Atlas of Emotions entworfen, eine interaktive Website zur Verbesserung unseres emotionalen Bewusstseins, das vom Dalai Lama in Auftrag gegeben wurde und weiterhin unterstützt wird.

Interview: Norbert Classen | Foto: privat Eve Ekman

Was genau sind Emotionen? Wo tauchen sie im Körper auf und was lösen sie in ihm aus? Wie schnell entstehen sie und wie lange halten sie an?

Ich möchte Ihre Fragen aus zwei Perspektiven beantworten, aus Sicht der modernen Psychologie und Emotionsforschung sowie aus Sicht der kontemplativen Wissenschaft, die verschiedene Definitionen für Emotionen, Gefühle und Stimmungen haben. Ich habe das Glück, zu einer Generation von Forschern und Praktikern zu gehören, die versuchen, diese Sichtweisen sinnvoll zu verbinden. Aus psychologischer Sicht sind Emotionen klar abgrenzbare Momenterfahrungen, und viele werden von den Forschungsergebnissen überrascht sein. Nicht so sehr davon, dass Emotionen in einer 25stel Sekunde entstehen – wir alle wissen, dass sie sehr schnell auftauchen. Aber sie geschehen tatsächlich schneller, als wir uns ihrer bewusst werden können. Oft entstehen sie ohne unser Zutun, es sei denn, wir entscheiden uns bewusst dafür, einen Song zu hören oder einen Film anzuschauen, um ein bestimmtes Gefühl auszulösen. Doch meist wählen wir die Emotion nicht aus, sie kommt einfach.

Wie lange halten sie an? In den letzten 15 Jahren habe ich diese Frage unzähligen Studenten gestellt, und die meisten antworten: eine Stunde, einen Tag oder mehrere Tage, während eine Emotion im physiologischen Sinne gerade mal 30 bis 90 Sekunden dauert. Sie ist also sehr kurz. Dass sie als lang wahrgenommen wird, liegt daran, dass wir sie ständig neu auslösen, indem wir immer wieder an das denken, wovon wir emotional bewegt sind. Wenn ich also zum Beispiel heute Morgen keinen Kaffee mehr habe, bin ich vielleicht kurz frustriert. Aber ich werde mich nicht lange so fühlen; ich gehe Kaffee holen, dann ist es vorbei. Aber ich könnte dieses Gefühl den ganzen Tag über aufrechterhalten. Wenn ich es verfestige, verliere ich die Kontrolle darüber: „Ich habe zu viele

Dinge im Kopf. Ich kann mir nicht mal einen Kaffee holen. Was ist nur los mit mir?“ Man spinnt eine Geschichte um die Emotion und hält sie damit aufrecht.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Es gibt keine Emotion, die nicht im Körper ist. Ich frage meine Studenten gerne: Wie definieren Sie Emotionen? Und auch da zeichnet sich ein Trend ab: Emotionen sind Dinge, über die wir nachdenken. Ich hoffe, dass die Menschen, die sich für Achtsamkeit und Emotionen interessieren, besser verstehen, dass Emotionen ein Geist-Körper-Prozess und in unserem Körper sind. Das heißt nicht, dass sie nicht in unserem Verstand sind, aber sie sind in hohem Maße physiologische Prozesse.Als Psychiater, der jeden Tag psychische Erkrankungen sieht, bemerkt man wahrscheinlich mehr Dinge in der Welt, die einem krankhaft vorkommen, als es sie tatsächlich gibt. Ob das gleich Krankheiten sind, weiß ich nicht, aber woran es uns derzeit gesellschaftlich mangelt, ist sicherlich Zuversicht, eine positive Sicht auf die Zukunft. Zugleich gibt es eine Zunahme von Unsicherheit und eines unbestimmten Gefühls von dem, was kommen könnte. Eine Art von Bedrohungserwartung. Dieses Gefühl wird heute vielleicht nicht von jedem, aber doch von vielen geteilt.

Welche Emotionen gibt es und sind sie universell?

Es gibt sehr viele Emotionen. Verschiedene Forscher sind unterschiedlicher Ansicht, wie viele. Einer von ihnen, Dacher Keltner von der University of California in Berkeley, hat mit seinen bahnbrechenden Studien zur Physiologie des Körpers und der Gesichtsmuskulatur im Zusammenhang mit Emotionen das Feld der Emotionsforschung begründet, und er hat 27 Emotionen kartiert, die wir wahrnehmen können. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen den Emotionen, die wir fühlen, jenen, die wir ausdrücken, und jenen, die in ihrem Ausdruck universell sind, was heißt, dass es sich um körperliche Signale handelt, die klar zu unterscheiden sind. Und davon gibt es zwischen sechs und acht.

Menschen verwirrt an unserem Projekt Atlas der Emotionen oft, dass wir sagen, es gäbe nur fünf Kontinente von Emotionen: Wut, Furcht, Ekel, Trauer und Freude. Selbst bei einer dieser primären oder universellen Emotionen, der Wut, haben die meisten Menschen je nach kulturellem Hintergrund bestimmte Vorstellungen und behaupten zum Beispiel: „Ich werde nicht wütend.“ Das glaube ich ihnen nicht, denn es ist unmöglich. Sie kommen dazu, weil sie Wut nur als einen intensiven Zustand definieren. Aber Wut umfasst eine ganze Familie von Emotionen: Irritation, Frustration, Verärgerung und so weiter. Es ist also wichtig, zu verstehen, dass eine Familie von Primäremotionen aus vielen verschiedenen Emotionen besteht.

Ihr Ausdruck, das Gesichtssignal, das wir zeigen, wenn wir wütend sind, gab es allerdings wahrscheinlich schon, bevor wir als Gesellschaft, als Kultur in unserem Umfeld evolutionärer Anpassungsfähigkeit lebten – wir benutzten unsere Mimik schon als Signal, bevor wir zu sprechen begannen. Und wir können uns vorstellen, wie wichtig es ist, einer anderen Person zu signalisieren, dass wir uns zurückhalten, wenn wir wütend sind. Oder beim Ekel – unser Gesicht sagt: „Dieses Essen ist verdorben und somit giftig.“ Signale, die sehr wichtig sind für die soziale Verbindung und Zusammenarbeit und wesentlich für unser Überleben.

Eine andere Sache, die Dacher Keltner untersucht, ist die Vokalisation, der Laut, den wir machen, wenn wir eine Emotion zeigen. Es gibt also eine Vielzahl von Signalen. Noch gibt es keine schlüssigen Beweise für Körperhaltungen als universellen Ausdruck von Emotionen, das scheint von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich zu sein. Und wir leben ja in einer Zeit, in der sich unsere Kulturen stark vermischen. Wir können nicht einfach sagen: Ja, das ist in Hamburg so, aber nicht in Rio de Janeiro oder Singapur. Tatsächlich gibt es so viele gemeinsame Inhalte auf Tik-Tok und anderen Medien, dass es viel mehr Gleichheit als kulturelle Unterschiede gibt. (…) Mehr

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