Die Bildungsexpertin und Autorin Vera Kaltwasser hat als Pionierin im deutschsprachigen Raum früh damit begonnen, Achtsamkeit in die Schule zu integrieren. In diesem Beitrag teilt sie Übungen und Anregungen aus ihrem reichen Erfahrungsschatz und zeigt, wie wir mehr Freude in die Schule und in unser Leben bringen können.
Text: Vera Kaltwasser | Foto: Addictive Stock / Photocase
Ein Strahlen in den Augen, ein Lächeln, eine einladende Geste – da geht uns das Herz auf. Schon Schillers „Freude, schöner Götterfunken“ verweist auf die ansteckende Kraft der Freude. Aus Forschungen im Bereich der Positiven Psychologie wissen wir, dass wir eher auf mögliche Gefahren und Widrigkeiten schauen, weil dieser Negativitätseffekt – das Phänomen, dass sich negative Emotionen und Erlebnisse stärker auf uns auswirken als positive – unserer Spezies eher das Überleben gesichert hat als die Freude an einem Blumenmeer. Aus neurowissenschaftlichen Forschungen kennen wir aber auch die „Macht der guten Gefühle“ – und wir erleben sie täglich am eigenen Leib.
Indem wir Achtsamkeit, Freude und Dankbarkeit bewusst in Körper und Geist wecken und kultivieren, öffnen wir uns für eine Fülle von Wahrnehmungen, die wir immer mehr erschließen können: Freude beruhigt unser vegetatives Nervensystem und fördert die Resilienz; unser Körper gelangt durch sie schneller in einen Zustand der Homöostase, des inneren Gleichgewichts; sie fördert unsere Zufriedenheit, öffnet unsere Wahrnehmung, stärkt unsere Beziehungskultur. Fundamental bedeutsam ist es, zu erfahren und zu üben, wie wir diese Öffnung bewusst vollziehen können. Und wie können wir Kindern und Jugendlichen schon frühzeitig Wege eröffnen, das Potenzial der Achtsamkeit und Freude zu entdecken?
Das Potenzial der Freude im Bildungsbereich
Im Rahmen der Integration von Achtsamkeit in der Schule (AiSCHU) spielt das kontinuierliche Wecken von Freude und Dankbarkeit eine wichtige Rolle, und zwar für alle Altersstufen. Die Übungsreihe, die ich Ihnen hier vorstellen möchte, hat bereits in vielen Klassen einen festen Platz. Eltern können mit ihren Kindern zu Hause einmal die Abfolge der einzelnen Schritte spielerisch ausprobieren. Dabei verbinden sich Atemwahrnehmung, Introspektion, Körperausdruck, achtsames Schreiben und der achtsame Dialog.
An zahlreichen Schulen gehört es erfreulicherweise schon zur Schulkultur, dass Stilleübungen selbstverständlich in den Unterricht eingefügt werden. So können sich Kinder und Jugendliche immer zuverlässiger mit ihrem Atem verbinden. „Ich bin mir ein Freund geworden“, sagte mir einmal ein Schüler. Wir machen uns selten klar, wie hart Kinder und Jugendliche oft mit sich ins Gericht gehen, wie Leistungsdruck und diffuse Ängste Spannungen erzeugen. Von erfahrenen Lehrern angeleitete Achtsamkeitsübungen können hier Wege der Selbstberuhigung aufzeigen und die Resilienz stärken.
Wenn die Atemwahrnehmung schon gut gefestigt ist, kann ein Ausflug in die persönliche Erinnerungswelt der Freude angeleitet werden. Positiv besetzte Erinnerungen sind eine Kraftquelle, die wir mit den folgenden Übungen bewusst zum Sprudeln bringen.
Türen zu freudvollen Erinnerungen
Erinnern Sie sich an ein freudiges Erlebnis in der nahen Vergangenheit – eine Situation, wo Ihnen „das Herz aufging“. Zur Einstimmung können Sie sich auch eine geführte Imagination anhören, damit die inneren Bilder sich noch intensiver einstellen. Es ist sehr hilfreich, wenn Sie sich dabei mit Ihrem Atem verbinden, ohne ihn zu verändern, denn er öffnet sanft die Türen der Erinnerung. Zunächst werden sicherlich unterschiedliche Erinnerungen wach. Wählen Sie diejenige aus, mit der Sie sich gerade gerne verbinden möchten. Sie können sich die Situation wie einen Videoclip vorstellen, der vor Ihrem inneren Auge abläuft. (…) Mehr