Birgit Schönberger nimmt uns mit auf ihre ganz persönliche Suche nach der Freude, die sie im Stress des Alltags verliert und beim Gaga-Online-Workshop wiederfindet, auch wenn dieser Tanzstil genauso albern aussieht, wie er klingt. Das Tanzen hilft ihr, loszulassen und zum Naturzustand des Geistes zurückzufinden, der heitere, grundlose Freude ist.
Text: Birgit Schönberger | Foto: Ivana Cajina via Unsplash
Irgendwann zwischen der noch nicht ganz abgeebbten letzten und der bereits im Geiste anschwellenden nächsten Viruswelle, zwischen Raketeneinschlägen in Kiew, nach beunruhigenden Mails von meinem Gasanbieter und einer ernüchternden Nachricht meines Steuerbüros verschwand sie. Ohne sich zu verabschieden, stahl sie sich still und leise davon. Erst fiel es mir gar nicht auf. Ich war viel zu beschäftigt damit, mir Sorgen zu machen. Aber dann musste ich mir eingestehen: Mir war die Freude abhandengekommen. Nicht nur mir allein. Alle um mich herum schienen von einer bleiernen Schwere erfasst.
Und dann war sie – zack – plötzlich wieder da. Platzte in mein Leben, ausgerechnet während ich, von Schulterschmerzen geplagt, auf einen Zoom-Bildschirm schaute und statt auf der Stelle zu gähnen, hellwach wurde. Ich sah, wie eine grauhaarige Frau in einem zu großen T-Shirt mit Mickymaus-Aufdruck lachend und ausgelassen durch ihre Küche hüpfte. Eine andere schnappte sich ihr Baby und ließ die Hüften wackeln, ein Mann in Boxershorts tanzte mit seinem Liebsten auf dem Balkon, hinter ihnen das Meer. Und ich fegte durch mein Wohnzimmer so wild wie zum letzten Mal vor 30 Jahren und fühlte mich wunderbar leicht und ein wenig gaga.
Gaga. Genauso heißt die Tanzform, die der israelische Choreograf Ohad Naharin entwickelt hat in einer Phase, in der er ein Bein nicht mehr bewegen konnte und mit der Prognose, er werde nie mehr tanzen können. Mitten in der Verzweiflung entdeckte er seine eigene Bewegungssprache und nannte sie Gaga. Eine Kollegin hatte mir von den Gaga- Online-Workshops erzählt und mir empfohlen, es auszuprobieren. Und dann war ich endlich so weit, mich mit 50 anderen rund um den Globus zu schütteln, zu grooven, wie ein Flummi durch die Wohnung zu springen, auf allen vieren zu laufen, mich zum Affen zu machen, wie eine Ente zu watscheln und den Anleitungen zu folgen: „Connect to your passion, to your silliness, to your joy.“
Einfach albern sein
Als ich nach dem letzten Song den Bildschirm zuklappte, war ich nass geschwitzt. Alle Zellen schienen von Freude durchflutet. Kein einziges meiner Probleme und auch kein kollektives hatte sich gelöst, aber ich fühlte mich gelöst. Seitdem tanze ich, wenn möglich, mehrmals in der Woche. Neben meiner Meditationspraxis, dem Schreiben, intensiven Begegnungen und Laufen im Park ist Gaga mein Tor zur Freude. Nach all den Herausforderungen der letzten Zeit brauche ich offensichtlich jemanden, der mir regelmäßig sagt: „Erlaub dir, albern zu sein.“ „Verbinde dich mit deiner Freude.“ Und ich ergänze innerlich: Komm raus aus deiner Problemtrance. Lass dich nicht völlig niederdrücken vom Leid der Welt.
Freude als Naturzustand
Was auch immer uns hilft, in die Freude zu kommen, ist gut. Freude ist unser Naturzustand, wie wir an Babys sehen. Das vergessen wir nur leider viel zu oft. Wir brauchen Freude wie die Luft zum Atmen, das merken wir, wenn sie uns abhandenkommt, weil die vielen Krisen wie Blei auf uns lasten. Es ist dann alles schal und grau, als hätte jemand die Farben abgestellt. Freude ist ein Lebenselixier. Das erkannte schon vor 2.500 Jahren kein Geringerer als Shakyamuni Buddha. Neben Mitgefühl, liebender Güte und Gleichmut gehört Freude zu den vier unermesslichen Geisteshaltungen, die uns helfen, mit dem Leiden, das unweigerlich zu unserem Leben gehört, gut umzugehen. (…) Mehr