In unserer Rubrik „Wege zur Transformation“ zeigt uns die Diplom-Psychologin und Autorin Anke Precht ab dieser Ausgabe – jeweils passend zum Titelthema –, wie wir die typischen Herausforderungen des Alltags aus psychologischer Sicht meistern können. Im ersten Teil der neuen Reihe geht es um Dankbarkeit, die ihr zufolge nicht allein durch positives Denken zustande kommt, vor allem dann, wenn wir gerade in einer Krise stecken oder vor besonderen Herausforderungen stehen. Dennoch können wir schwierige Erfahrungen als Motor für unsere Entwicklung nutzen. Was uns dabei helfen kann, zeigt Anke Precht in diesem Beitrag.
Text: Anke Precht | Foto: Jefras / Photocase
Der Vorschlag „Sei doch dankbar, es ist sicher für etwas gut!“ ist für einen Menschen, dem das Leben gerade den Boden unter den Füßen weggezogen hat, in etwa so ermutigend wie die klassische Aufforderung an einen Depressiven, doch mal positiv zu denken, die Sonne scheine ja, und darüber könne man sich doch freuen. Oder wie die Aufforderung an ein Kind, den Teller leer zu essen mit dem Argument, es gäbe schließlich Kinder, die gar nichts zu essen hätten und dankbar für den ekligen Grünkohl wären.
Warum Appelle an die Dankbarkeit so wehtun, wenn alles den Bach hinuntergeht? Weil gerade der Schmerz dominiert, die Enttäuschung, die Angst, vielleicht Wut. Wenn mein Gegenüber dann von der schönen Sonne redet, empfinde ich darüber nicht nur keine Dankbarkeit, sondern fühle mich unverstanden. Vielleicht bin ich sogar sauer auf den Zeitgenossen, der doch nur helfen wollte. Und der denkt sich: Der ist nicht zu helfen; selbst schuld, wenn es ihr dreckig geht. Aber: Dankbarkeit lässt sich genauso wie gute Laune oder Spontanität nicht auf Knopfdruck herbeizaubern. Selbst wenn wir manchmal den Eindruck haben, das müsste so sein, und uns der ein oder andere das einredet.
Darum bin ich schon immer skeptisch gewesen, wenn ich die Ermutigungen zum Dankbarsein gehört habe, die leider auch in der Psychologie en vogue sind. Dankbarkeit als Allheilmittel für alle psychischen Notlagen, so wie im Mittelalter der Aderlass (wenn man einen Bader gefragt hat) oder die Ablasszahlung (wenn man einen Priester gefragt hat). Wer dankbar ist, ist glücklich.
Mag sein, jemand ist der Überzeugung, es wäre gut, dankbar zu sein statt nachtragend – das Gefühl stellt sich jedoch nicht auf Befehl ein, und oft umso weniger, je mehr wir es wollen. Am allerwenigsten, wenn uns das Leben gerade einen Arschtritt gegeben hat. Damit meine ich nicht die kleinen Arschtritte, die uns ständig im Alltag begegnen und die die meisten von uns mit Humor oder Gelassenheit nehmen – sondern die großen, die wirklich schmerzhaften, die uns das nehmen, was uns am meisten bedeutet: unser Zuhause, einen geliebten Menschen, die Gesundheit, die Perspektive, auf die wir so lange hingelebt haben. Du hast ein Kind verloren? Sei dankbar für die gemeinsame Zeit, die euch geschenkt worden ist – zynischer geht es kaum, wenn jemand vor Schmerz kaum weiß, wohin mit sich, und der gerade das Leben, das Schicksal und den Autofahrer verflucht, der es überfahren hat. Wenn das Leben so richtig hässlich ist, ist Dankbarkeit nicht das passende Konzept. Und das ist auch in Ordnung so, finde ich.
Wir wissen aber gleichzeitig: Dankbarkeit ist ein mächtiger Heiler. Sie gibt dem Antlitz Tiefe und Heiterkeit, den Gefühlen Intensität, dem Alltag Freude, der Seele Freiheit. Deshalb möchte ich tiefer auf die Frage eingehen: Wie komme ich dahin, dass ich dankbar sein kann für mein Leben, einschließlich dessen, was mich aus der Bahn geworfen hat? Was führt dazu, dass manche Menschen vor Dankbarkeit strahlen, während sie anderen nie zu gelingen scheint? Denn Ersteres ist möglich, es hängt davon ab, wie wir mit unseren Erfahrungen umgehen. Dankbarkeit ist das Ergebnis eines Prozesses. (…) Mehr