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Porträtaufnahme von Daniel Goleman und Tsoknyi Rinpoche

Daniel Goleman und Tsoknyi Rinpoche im Interview

Tsoknyi Rinpoche ist ein bekannter Lehrer einer neuen Generation von tibetisch-buddhistischen Meditationsmeistern und Daniel Goleman ein erfahrener Meditationspraktiker, Psychologe und Sachbuchautor, darunter der internationale Bestseller EQ. Emotionale Intelligenz. Beide verbindet eine tiefe Freundschaft und Lehrer-Schüler-Beziehung sowie das Ziel, traditionelle Belehrungen und Meditationsanleitungen mit der westlichen Wissenschaft zu verknüpfen. Andrew Holecek spricht mit den Brückenbauern über die heilsame Wirkung der Meditation auf unser eigenes Leben und das globale Miteinander sowie darüber, wie wir durch gezielte Übungen wieder bei uns selbst ankommen.

Interview: Andrew Holecek | Foto: Raymond Ewing

Tsoknyi Rinpoche und Daniel Goleman, ihr beide seid vielbeschäftigte Menschen. Daher freut es mich besonders, dass ihr euch für dieses Interview Zeit genommen habt. Dan, was sollten die Leser aus der Lektüre eures Buches mitnehmen?

Daniel Goleman: Lass mich kurz darauf eingehen, wie das Buch entstanden ist. Ich war bei einem Retreat mit Tsoknyi am Garrison Institute und er bat mich, einen Vortrag zu halten. Ich hatte gerade mein Buch Altered Traits, das ich zusammen mit Richard Davidson verfasst habe, fertiggestellt, in dem es um stichhaltige Beweise dafür geht, wie gut Meditation für uns ist. Und es stellte sich heraus, dass sie sehr, sehr gut ist – letztendlich ist es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, je mehr man sie praktiziert, desto besser wird sie. Nach meinem Vortrag meinte er dann zu mir: „Meine Schüler in Asien wären auch daran interessiert, wegen der wissenschaftlichen Basis, denn seltsamerweise schaut diese neue Generation erst einmal auf den Westen, um eine Bestätigung dafür zu erhalten, was wahr ist. Und da hat die Wissenschaft ein besonderes Gewicht. Deshalb haben wir uns entschlossen, das Buch in diesem Sinne zu schreiben. Es beschreibt Tsoknyi Rinpoches Belehrungen und seine wirkungsvollen Methoden. Und dann erkläre ich die wissenschaftliche Komponente und zeige, wie beides zusammenpasst.

Tsoknyi Rinpoche: Ich hoffe, es ist mir gelungen, einen Weg zum grundlegenden Wohlbefinden aufzuzeigen. Sein Wesen ist die Liebe, die essenzielle Liebe, wie ich sie nenne, die weder diszipliniert noch objektbezogen ist, sondern nur die Quelle der Liebe Wir können es auch innere Freude nennen oder grundlegendes Wohlbefinden. Irgendwie haben wir die Verbindung hierzu in unserer modernen Welt verloren, weil so viel geschieht. Und wir bewerten unsere Liebe, unser Glück oder unsere Freude anhand von äußeren Dingen. Das ist auch okay, aber von Zeit zu Zeit sollten wir zur Quelle unseres Wohlbefindens zurückkehren, die ich bedingungslose Freude oder Liebe nenne. Es gibt eine Menge Namen dafür, aber der Kern ist die Liebe. Auf dem Weg zu diesem grundlegenden Wohlbefinden können wir auf einige Hindernisse stoßen, die ich übriggebliebene Prägungen nenne; viele davon sind gesund, einige ungesund. Die ungesunden, die ich auch verzerrte Prägungen nenne, kann man transformieren. Sie werden sehr oft aktiviert, und dadurch beginnen wir, sie zu glauben. Solche verzerrten Prägungen und Reaktionsmuster nenne ich „schöne Monster“. Denn wenn du sie transformierst, kann das sehr schön sein, mit der schönen Aussicht, dass du deinen Zustand verstehst. Du verstehst dein Leiden und das anderer Menschen. Wenn du sie nicht transformierst, könnte es für dich und andere allerdings schwierig werden.

Daher habe ich die Praxis des Händeschüttelns entwickelt, eine Methode, mit der wir unseren schönen Monstern mit Freundlichkeit statt mit Angst begegnen können. Es ist keine Methode im üblichen Sinn, sondern eher eine innere Einstellung. Das Händeschütteln findet zwischen unserem Gewahrsein und unseren Gefühlen statt. Dabei kommen der Verstand und der gefühlsbasierte Körper mit den Emotionen und dem grundlegenden Wohlbefinden zusammen, ohne sich zu stören, und die schönen Monster beginnen sich schließlich von selbst zu öffnen. Dann ist es möglich, mit ihnen zu kommunizieren. Sie sind real, aber nicht wahr. Sie sind Überbleibsel, verzerrte Prägungen, die sich sehr real anfühlen, aber sie tragen falsche Botschaften in sich. Wenn man sich ihnen öffnet, hat man ein offenes Herz, man ist weder starr, noch wird man von den schönen Monstern beeinflusst. Man kann sogar ihr Freund werden. Dann wird man gesund und kann sich mit der essenziellen Liebe verbinden. Und schließlich beginnt sich die essenzielle Liebe auszudrücken, eine sehr gesunde Liebe. Üblicherweise spüren wir statt der essenziellen Liebe einen Hohlraum, eine Leere in uns. Man mag viele Dinge und viele Freunde haben, aber tief im Inneren fühlt man sich hohl und allein. Eine meiner Hoffnungen ist, dass Menschen dieses Wohlbefinden finden und dann ihre schönen Monster transformieren. Dann beginnt die essenzielle Liebe in die Praxis der liebenden Güte und des Mitgefühls auszustrahlen. Mit der Liebe, der liebenden Güte und dem Mitgefühl kann man sich dann mit der großen Welt verbinden. So können wir als Einzelne einen kleinen Beitrag zu einer Art Weltfrieden leisten.

Daniel Goleman: Mein Kollege Richard Davidson hat ein Programm für Freundlichkeit für Schul- und Kindergartenkinder konzipiert und eine App entwickelt, um das Gefühl des Wohlbefindens aus einem ganz anderen Blickwinkel zu fördern. Wenn deine Kinder aus der Schule kommen, fragst du sie: „Welche Note hast du in der Klassenarbeit bekommen?“ Oder: „Wer war heute freundlich zu dir?“ Das sind zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen auf den Tag. Und leider – darauf weist Tsoknyi Rinpoche hin – erfahren Kinder, vor allem im Westen, meist eine Art bedingter Liebe: Wenn du gute Noten hast, dann liebe ich dich. Es geht nicht darum, zu wem du nett warst, sondern darum, dass du in der Klassenarbeit eine Eins bekommen hast. Das prägt uns auf verschiedene Weisen. Eine davon ist, dass wir im Lauf unseres Lebens einen Ehrgeiz entwickeln, den wir nie erfüllen können. Man läuft nur in der Tretmühle. Der Vergleich mit einem schönen Monster stammt zum Teil aus einem Kongressgespräch mit meiner Frau Tara Bennett-Goleman, aus der integrierten Achtsamkeit und Kognition, eine Art psychodynamische kognitive Therapie, um die emotionalen Muster zu betrachten, die aus der Kindheit stammen und uns ein Leben lang begleiten, ohne uns zu dienen. Der Ansatz, den Rinpoche vorstellt, wird also von der Wissenschaft unterstützt. (…) Mehr

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