Moment by Moment

Illustration: Ein Herz, ein Auge und eine Büste in einem Zimmer, dessen Türe offen steht

Den Körper spüren lernen

In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist, wussten die Römer schon vor 2000 Jahren. Doch was ist, wenn es in unserem Körper rumort und unser Verstand nicht begreift, was er uns sagen will? Was können wir überhaupt in unserem Körper wahrnehmen? Diese und ähnliche Fragen beleuchtet Christiane Wolf und erklärt, wie wir mithilfe von Bodyscan und einfachen Übungen unserer Körperwahrnehmung auf die Spur kommen.

Text: Christiane Wolf | Illustration: Kurt Liebig

Mister Duffy lebte nicht unweit seines Körpers, sagt James Joyce von einer seiner Romanfiguren. Wir lachen darüber, aber es ist oft das etwas verlegene Lachen des Sicherkennens: Oh ja, das Gefühl kenne ich! Ich hetzte durch den Tag und merke nicht mal, dass ich Hunger habe oder auf die Toilette muss. Mein Mann, der abends kurz meine Schultern massiert, sagt, „Die sind ja steinhart.“ Das ist mir nicht bewusst gewesen, bis er es sagt. Viele meiner Kursteilnehmer berichten Ähnliches. Die Bedürfnisse des Körpers werden oft als eher lästig angesehen, ausgeblendet oder überhört. Es passt gerade nicht.

Von anderen Kursteilnehmern, die mit körperlichen Beschwerden oder Schmerzen kommen, höre ich oft, dass ihr Körper schon seit langer Zeit versuche, sie auf sich aufmerksam zu machen, sie aber nicht hingehört hätten. Und jetzt schreie der Körper so laut, dass sie es nicht mehr überhören könnten.

Unser Verhältnis zum Körper ist kompliziert. Unsere Gesellschaft suggeriert uns, dass bestimmte Körperteile nur akzeptabel sind, wenn sie auf eine bestimmte Weise aussehen, wenn sie die „richtige“ Form (schlank, muskulös), Farbe (helle Haut oder gebräunte helle Haut), Konsistenz ( je nachdem, hart oder weich) und Oberflächenstruktur (straff, keine Falten) haben. Wir stecken unendlich viel Geld und Aufmerksamkeit in das Aussehen unseres Körpers und vergessen dabei, dass alle Körperteile sich im Laufe der Evolution für ihre Funktion, nicht für ihr Aussehen entwickelt haben. Dazu kommt noch, dass wir zwar einige unserer Körperfunktionen willentlich kontrollieren können, viele aber auch nicht. Wir fühlen Dinge, die wir nicht fühlen wollen, und würden gerne andere fühlen, die wir aber nicht herbeizwingen können.

Letztlich wollen wir uns schlicht besser fühlen! Die Achtsamkeitspraxis scheint einen wesentlichen Schlüssel zu bieten, um das zu erreichen. Unser Üben fängt mit dem Spüren des Körpers an, der ersten der vier Grundlagen der Achtsamkeit. Sie beruht auf einer der wichtigsten Lehrreden im Buddhismus, die auch das Fundament der säkularen Achtsamkeitspraxis ist. Der Buddha hat gefragt, wo wir denn anfangen sollten, wenn nicht im Körper? Unser Körper befindet sich immer im jetzigen Moment und ist daher der perfekte Anker, Ausgangspunkt und Rückkehrpunkt. Und je mehr wir den Körper – also uns – auf angenehme und lebendige Weise spüren können, umso besser geht es uns.

In der Achtsamkeitspraxis lernen wir, den Körper als einen Körper zu fühlen, nicht nur als meinen Körper. So fühlen sich Beine an. So fühlt es sich an, wenn Hände auf dem Bauch aufliegen. Die Achtsamkeitspraxis öffnet uns dem Paradox, dass dieser Körper zugleich ganz persönlich meiner ist, aber genauso eben nur ein Körper eines bestimmten Alters, Geschlechts, einer bestimmten Hautfarbe usw. Diese Erfahrung verändert etwas in uns. Wir lernen, das, was uns widerfährt, weniger persönlich zu nehmen und zugleich tiefe Fürsorge und Freundlichkeit uns selbst und diesem unserem Körper gegenüber zu leben.

Was ist denn überhaupt im Körper spürbar?

Da gibt es einmal die Empfindungen, die uns die Sinnesorgane vermitteln: was wir sehen, hören, schmecken usw. Sie bezeichnen wir auch als Exterorezeption, die Außenwahrnehmung. Dann gibt es Mechano- und Druckrezeptoren, Thermorezeptoren, Chemorezeptoren, Schmerzrezeptoren sowie die Enterorezeptoren der inneren Organe und Propriorezeptoren, die uns wissen lassen, wie sich unser Körper bewegt und die momentane Stellung unserer Gliedmaßen ist. Diese Empfindungen sind ein Teil der sogenannten Interozeption, auf die ich gleich noch weiter eingehen werde. (…) Mehr

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