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Ayya Santacitta | Über Mut und Mitgefühl

Ihr Weg führte sie von der Steiermark über Wien, Thailand und England in die USA. Heute lebt sie in Kalifornien: Die buddhistische Nonne Ayya Santacitta verbindet Kulturanthropologie, Tanz, Theater, Ökologie und Dharma. Mit uns spricht sie über Gleichmut (upekkha) als Schlüssel für tiefgreifende Veränderungen und zeigt, wie wir die ökologische und soziale Krise als Chance für inneres Wachstum und einen neuen Umgang mit unserer Erde begreifen können.

Interview: Stefanie Hammer | Foto: Angelica Teran

Der Philosoph und Theologe Reinhold Niebuhr wünschte sich einst „die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.“ Demnach ist Gelassenheit Teil einer Dreiheit, die kluges Handeln erst ermöglicht. Damit haben Sie ja einige Erfahrung.

Ja, das entspricht dem buddhistischen Begriff upekkha, (Pali für Gleichmut, die Red.), der bedeutet, wirklich verwurzelt im Hier und Jetzt zu sein. Selbst wenn die Dinge schwierig werden, ist man noch immer fest verwurzelt und kann sie verdauen und integrieren. Upekkha ist die Qualität, die wir in den nächsten Jahrzehnten oder Jahrhunderten brauchen werden, weil wir durch eine tiefe Transformation als Spezies gehen und uns quasi auf einem Pfad des Abstiegs befinden, es geht buchstäblich bergab. Ich glaube, das können wir alle irgendwie fühlen. Die Dunkelheit ist schon immer der einzige Weg gewesen, auf dem es zu einer wirklichen Transformation kommen kann.

Wenn man darüber reflektiert, gelangt man zu einer persönlichen Erfahrung von diesem Eingebettetsein in etwas Größerem, und das ist die Basis für echtes upekkha. Es ist nicht zu verwechseln mit Gleichgültigkeit – die aus buddhistischer Sicht der „nahe Feind“ genannt wird und nur so ähnlich aussieht. Sich mit Dingen gar nicht auseinanderzusetzen, ist Spiritual Bypassing. Der Preis für echtes upekkha ist ja nicht klein, wenn man sich wirklich darauf einlässt.

Das ist genau die Problematik der evolutionären Schwelle, auf der wir gerade stehen. Es gibt so viele Ablenkungen, um sich nicht mit diesen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Upekkha ist wirklich sehr wichtig, und Gelassenheit finde ich ein sehr schönes deutsches Wort: „Lass es so, wie es ist.“ Ich bin manchmal zutiefst überrascht, wie manche Worte es auf den Punkt bringen.

Gelassenheit ist ja auch eine Haltung, die wir entwickeln möchten. Kennen Sie auch den Anspruch an sich selbst, stets gelassen zu bleiben?

Es kommt darauf an, was man unter Gelassenheit versteht. Einige Menschen glauben, man könne nur meditieren, wenn man keine Gedanken im Geist hat. Und Gelassenheit bedeutet ja auch nicht, dass man still wie ein Stein ist. Gelassenheit heißt, dass man nicht versucht, die Situation zu manipulieren, und dass man sich voll mit ihr auseinandersetzt. Und manchmal heißt es, dass man schnell handeln muss. Oder es langsam angeht. Ich glaube, es ist eine von diesen grundlegend falschen Annahmen, dass man sich an einer Buddhastatue orientiert und deshalb alles langsam machen möchte. Daran glaube ich nicht. Gelassenheit heißt für mich vielmehr, sich wirklich auf etwas einzulassen, ohne frühzeitig einzugreifen. Manchmal schnell und manchmal langsam. Aber man hat das Maximale an Informationen über die Situation, weil man sich nichts vormacht und nichts ausschließt.

Und trotzdem ist da eine Ruhe, wenn man sich einen inneren Raum bewahrt, weil man sonst ja nur auf die äußeren Umstände reagiert.

Genau. Man reagiert nicht, man antwortet aus diesem inneren Raum heraus. Engagiertes Mitgefühl kann schnell oder laut sein. Wenn Menschen die Vorstellung haben, dass das alles ganz ruhig sein muss, habe ich oft gesehen, dass es dann zur Unterdrückung kommen kann. Ich habe sechs Jahre in Thailand gelebt, und dort ist es ja ganz wichtig, dass man immer „chai yen“ ist, das heißt ein kühles Herz bewahrt.

Wenn man in diesem Kulturraum irgendwie expressiver ist, wird das als peinlich empfunden, als nicht gut. Da kann es dann leicht zur Unterdrückung kommen. Und das habe ich selbst gesehen, in der Ajahn-Chah- Linie zum Beispiel, zu der ich über 16 Jahre gehört habe. Da hat dieses kulturelle Bild von dem, was Gelassenheit ist, laufend Unterdrückung angeregt. Und darum habe ich diese Linie irgendwann verlassen. Obwohl das Training für Anfänger wirklich ausgezeichnet war, gab es für mich im Endeffekt zu wenig Raum zur Weiterentwicklung.

Sie praktizieren, lehren und leben heute im Aloka Earth Room in Kalifornien, in dem Sie die Aspekte von Dharma, Ökologie und Kunst verweben. Ich habe Bilder im Internet gesehen und spüre dabei diese tiefe Verbundenheit zur Erde und zum Leben. Wenn Sie jetzt auf die aktuelle Feuerkatastrophe in Ihrer Nachbarschaft in Los Angeles blicken, was empfinden Sie dabei?

Vor zwei Jahren, im April 2023, habe ich hier in San Rafael mit dem Earth Room angefangen. Hinter mir ist der Eingang, er wirkt ein bisschen wie eine Höhle. Was ich mit dem Aloka Earth Room gern zur Verfügung stellen möchte, ist ein Platz, wo man offen über all das reden oder nicht reden kann, wo man sich in der sangha (Pali für Gemeinschaft, die Red.) auf das Ganze einlassen kann. Ich lerne zurzeit sehr viel Neues, vor allem von indigenen Lehrerinnen und Lehrern. Dadurch, dass ich vor Jahren Kulturanthropologie studiert habe, war in diese Richtung immer schon ein Interesse da.

Ich habe das Gefühl, dass in mir jetzt die drei Ströme des Buddhismus, der Kulturanthropologie und der Kunst zusammenkommen – all das, was ich in meinem Leben gelernt habe. Da ich in einem Hotel aufgewachsen bin und die Hotelfachschule besucht habe, liegt es mir, einen Zufluchtsort zu schaffen, einen Raum, in dem sich Menschen begegnen können. Wo die Menschen durch die symbolische Kraft der Kunst Unterstützung erfahren, die das zum Ausdruck bringt, was es zu verstehen und zu integrieren gilt. Mit der buddhistischen Lehre als Unterstützung, um sich an etwas anlehnen zu können, um mit der Erde in Kommunikation zu treten. Für mich ist die Erde ein intelligentes Lebewesen, von dem wir lernen können, wenn wir verstehen, wie wir uns mit ihr in erlebbare Verbindung setzen können. Um genau das geht es. Die buddhistische Lehre ist dabei die Unterstützung, um geschickt mit sich selbst und den Herausforderungen des Lebens umzugehen. (…) Mehr

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